Sa, 5. Oktober 2019, 09:30 Uhr

Evangelische Stadtakademie Bochum, Westring 26 c

Professorin Ines Geipel, Berlin; Dr. Hans Misselwitz, Berlin (angefragt); Daniel Kubiak, M.A., Berlin, Hans Joachim Tischer, Nordhausen

Deutschland 30 Jahre nach dem Mauerfall
Die Mauer muss weg 2.0
Symposium

Vor 30 Jahren fiel die Mauer in Berlin nach dem Druck vor allem durch tausende Ausreisewillige und das engagierte Eintreten hunderttausender Bürgerinnen und Bürger in und um Leipzig. Die deutsche Wiedervereinigung war ein Glücksfall der Geschichte. Doch wie gut haben wir die Chance genutzt? Wie nah sind sich die Deutschen in Ost und West gekommen? Junge Westdeutsche fühlen sich deutsch, erstaunlich viele Nach-Wendekinder im Osten sehen sich als Ostdeutsche - welche Klischees werden hier nach wie vor bedient?
Trotz "Aufbau Ost", Solidaritätszuschlag und milliardenschwerer Transfers hinkt der Osten wirtschaftlich hinterher. Bei den Wahlergebnissen drückt sich die Ungleichheit in Zahlen aus: War es in den ersten Nachwendejahren noch die PDS und spätere Linke, die als "Protestpartei" Erfolg hatte, sind die Wahlergebnisse der AfD im Osten nun besonders hoch.
Woher kommt die große Wut im Osten? Fragt Ines Geipel in ihrem neuen Buch "Umkämpfte Zone. Mein Bruder, der Osten und der Hass" und benennt als Gründe u.a. - ohne die aktuell bestimmenden Opfererzählungen nach 1989 zu bedienen - die Schweigegebote nach dem Ende der NS-Zeit, die Geschichtsklitterung der DDR und die politischen Umschreibungen nach der deutschen Einheit,die als enormen Umbrüche die bis ins Private hinein wirkten und wirken.
Konkret fragen wir nach den Wende-Erfahrungen“ der Menschen am Beispiel der Menschen in Bochums Partnerstadt Nordhausen.
Sind überhaupt die Entwicklungen im Osten losgelöst von den politischen Aktionen des Westens zu begreifen?
Wie nehmen wir einander wahr 30 Jahre danach? - Die Mauer muss weg - 2.0 !
 
PROGRAMM
 
09.30 Begrüßung und Einführung, Arno Lohmann
 
10.00 Uhr Ines Geipel
Traumfabrik 2.0
Ostdeutschland zwischen Trauma und Mythos
 
Im Superwahljahr des Ostens plakatiert die AfD in Brandenburg mit dem Slogan "Wende 2.0 vollenden", im Freistaat Sachsen mit Klar zur Wende". In Berlin werden von den Linken im Herbst 2019 zahlreiche Veranstaltungen zum 70. Geburtstag der DDR geplant, während sich Gregor Gysi am 9. Oktober als Festredner in Leipzig empfiehlt. Der Streit um die Revolution 1989 ist wieder da, das Spaltungssyndrom zwischen Ost und West offenkundig in seiner Neuauflage. Wo steht Deutschland im Jahr 30 der glücklichen Revolution? Ist Ostdeutschland tatsächlich Opfer der Wiedervereinigung, wie Medien seit Jahren berichten, oder ist der Osten vor allem als Projektionsraum vonnöten, um damit die fragwürdige Gedächtnispolitik des vereinten Landes in Sachen Doppeldiktatur ausblenden zu können?
 
11.30 Uhr Hans Misselwitz
Was macht den Osten besonders?
Warum wir uns wieder mit dem deutschen Osten beschäftigen (sollten)
 
"Wir sind das Volk!" Wie konnte es dazu kommen, dass uns diese Parole der ehemaligen Leipziger Montagsdemos auf den Dresdner Pegida-Aufmärschen entgegengehalten wird? Wie konnte der demokratische Aufbruch von 1989 zu einem Bezugsereignis einer "rechten Revolte" in Ostdeutschland werden? Lange galten die "zähen" politischen und kulturellen Besonderheiten des Ostens als Abweichung von einer "bundesdeutschen Normalität". Das überzeugt nach 30 Jahren nicht mehr. Und der Aufstieg der Rechten ist mit Blick nach Osteuropa keineswegs ein Ost-Phänomen. -- Was macht den Osten besonders? Handelt es sich tatsächlich um Gesellschaften, deren demokratische Institutionen, sich auf weniger Unterstützung verlassen können als die im Westen? Für ein umfassendes Verständnis gilt es, nicht nur die Zeit vor, sondern auch die nach dem Umbruch von 1989 und den folgenden dramatischen ökonomischen und sozialen Verwerfungen der 90er Jahre in den Blick zu nehmen. Was trug dazu bei, dass Ostdeutsche sich letztlich immer wieder als die Anderen erleb(t)en? Welchen Anteil hatte daran die Art der Vergangenheitsbewältigung in der BRD und die Rolle, die den Bürgerrechtlern der demokratischen Avantgarde von 1989 zugedacht war?
 
13.00 Uhr Mittagspause
 
14.00 Uhr Daniel Kubiak
Die unendliche Geschichte der ostdeutschen Identität
Identität und Identifikation in der deutsch-deutschen Nachwendegeneration
 
Die Berliner Mauer stand 28 Jahre mitten in Berlin. Sie hatte eine physische, eine symbolische und eine politische Bedeutung für die deutsche Gesellschaft.
Physisch ist die Berliner Mauer schon 1989/1990 abgebaut worden. Der politische Umgestaltungsprozess ging ebenfalls relativ schnell vonstatten, auch durch den Institutionentransfer aus Westdeutschland.
Symbolisch war ihre Rolle noch weitaus wichtiger. Sie trennte zwei kulturelle Systeme - und dies wirkt scheinbar bis heute nach.
Der Vortrag zeigt, wie die symbolischen Grenzen auch in der Nachwendegeneration nachwirken und wird Ähnlichkeiten zu anderen symbolischen Grenzen aufzeigen. Dabei soll nicht das Trennende herausgestellt, sondern auf die Chancen der Anerkennung von Vielfalt hingewiesen werden.
 
15.15 Uhr Hans-Joachim Tischer
Episoden aus der Wendezeit und 30 Jahren Städtepartnerschaft Nordhausen-Bochum
Sind die Gräben zwischen den Menschen nach 30 Jahren überwunden?
 
Der Vortrag erinnert an den Alltag der Menschen in unserer Partnerstadt Nordhausen vor und nach der der Wende, beispielhaft anhand der Erlebnisse der Schul- und Studienzeit, der ersten Berufsjahre und Berufswechsel des Pädagogen Hans-Joachim Tischer, an seine Mitgliedschaft im Neuen Forum und die schwierige Wegstrecke nach der Wende. 1990 wurde er Gründungmitglied der Städtepartnerschaft Nordhausen-Bochum.
Der Vortrag erläutert die Ungleichheit beider deutschen Staaten in Wirtschaft und Kommunalverwaltung und fragt: Sind die Gräben zwischen den Menschen nach 30 Jahren überwunden?
 
17.00 Uhr Ende der Tagung
 
Ines Geipel, geboren 1960, ist Schriftstellerin und Professorin für Verskunst an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«. Die ehemalige Weltklasse-Sprinterin floh 1989 nach ihrem Germanistik-Studium aus Jena nach Westdeutschland und studierte in Darmstadt Philosophie und Soziologie. Sie lebt in Berlin und hat vielfach zu Themen der Geschichte des Ostens publiziert.
Daniel Kubiak, M.A. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und assoziierter Mitarbeiter des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM). Nach einer kaufmännischen Ausbildung hat er von 2003-2011 Sozialwissenschaften an der HU studiert und im März 2019 seine Dissertation mit dem Thema "Identifikation und Othering der Post-Wende-Generation" im Fach Soziologie an der HU eingereicht. Neben Lehre und Forschung liegt sein Verantwortungsbereich auch ím Bereich der Studienberatung und Studiengangskoordination. Daniel Kubiak hat sich auf Fragen von Identität und Identifikation spezialisiert und hat diese anhand des Fallbeispiels deutsch-deutscher Identität von Nachwendegeborenen untersucht.
Dr. rer. nat. Hans Misselwitz, geb.1950, studierte Biologie und Biophysik in Jena und Berlin, von 1974 bis 1981 an der Akademie der Wissenschaften und an der Humboldt-Universität zu Berlin tätig. Entlassung aus politischen Gründen, danach Engagement in der unabhängigen Friedensbewegung der DDR, Theologiestudium, bis 1990 Pfarrer in Hennigsdorf bei Berlin. März 1990 bis Oktober 1990 Abgeordneter der SPD in der Volkskammer und Parlamentarischer Staatssekretär im Außenministerium der DDR, Leiter der Delegation der DDR bei den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen. 1991 bis 1999 Leiter der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung in Potsdam. Bis 2015 im Parteivorstand der SPD u.a. als Sekretär der Grundwertekommission der SPD, deren beratendes Mitglied er bis heute ist.
Hans-Joachim Tischer, geb. 1940, Polytechnische Oberschule, bis 1960 Fahrdienstleiter Deutsche Reichsbahn, Studium Pädagogische Hochschule Mühlhausen, Lehrer an der Polytechnischen Oberschule Bad Sulza (Krs. Apolda), Wissenschaftlicher Mitarbeiter Hochbaukombinat Nordhausen, bis 2007 Berufsschullehrer. Mitglied im Neuen Forum, 1990 wurde er Gründungmitglied der Städtepartnerschaft Nordhausen – Bochum.
 
Kosten20,- €, erm. 14.00 €
Kontoverbindung:
IBAN: DE03 4305 0001 0001 3202 09
BIC: WELADED1BOC
"Mauerfall"
 
Im Preis enthalten sind die Seminargebühr, Kaltgetränke, Kaffee und Tee.
 
Die Vorträge sind einzeln buchbar und in bar vor Ort zu bezahlen: 6,- € / ermäßigt 4,- € je Vortrag.
 
Termine05.10.2019 09:30 - 17:00 Uhr
 
Tagungsleitung und Moderation:
Horst Friedrichsmeier, Theologe, Sozialwissenschaftler und Germanist, war Fachleiter für Sozialwissenschaften am Studienseminar Sek. II, Bochum
Susanne Hocke, Theaterpädagogin, Schauspielerin, artENSEMBLE THEATER
Arno Lohmann, Evangelische Stadtakademie
 
Anmeldung: Susanne Harkort, Telefon 0234-962904-661 oder bevorzugt per Mail.
 

Es existieren Dateien zu dieser Veranstaltung in der Mediathek.